𝟙𝟡 Wie ein Heiligenschein

Als ich meine Auszeit in dem franz. kontemplativen Orden nahm, durfte ich dort bei den Besuchergesprächen meist dabei sein. 
Eine Besucherin, die mich äußerst faszinierte, war eine Pariserin, die uns erzählte, wie sie als junge Frau in Nordafrika auf den Spuren von Charles de Foucault alleine reiste. Ohne einen Pfennig Geld, nur im Gebet, ganz auf Gottes Wunder angewiesen. 
Und was sie da alles erlebte! Unglaublich.
 

Als sie einmal halb am Verhungern war, bat sie Gott um Essen. Da drückte ihr ein wildfremder Mann ein Paket in die Arme mit der Bitte, dies auf die Post zu bringen. Sein Flugzeug ginge gleich und er hätte keine Zeit mehr für die Post. Er gab ihr einen Geldschein, der, als die Postgebühren bezahlt waren, genau für ein Mittagessen reichte.
 

Diese Frau lebte als Eremitin in Südfrankreich in einem riesigen´mas´. Das ist ein altes Bauernhaus. Es stand in einem sehr großen Areal, auf dem es viele kleine, klare Quellen gab und eine Klosterruine.

Als ich eben mein Staatsexamen fertig hatte, lud sie mich zu Ostern zu sich ein. Ich bewohnte den ganzen oberen Stock, der nur so halb ausgebaut war und viele alte Holzbalken hatte. Durch ein großes, rundes Fenster sah man weit auf die Wiesen mit Hunderten von wilden Narzissen, den alten Brunnen vor dem Haus und, in einiger Entfernung, die Klosterruine.
Ein Meer von weißen Narzissen war über Nacht aufgeblüht und wir wanderten hinüber zu der Ruine, durch das Osterkleid der weißen Blumen, an wilden Quellen vorbei. Wir beteten und meditierten in dem alten Gemäuer und lasen in einer französischen Bibel.
 

Nach einigen Tagen bekam Marie-Alice, wie die Eremitin hieß, einen Anruf aus Deutschland von Vera von Trott, der Gründerin eines deutschen evangelischen Ordens. Es gebe etwas Wichtiges zu besprechen und sie möge doch gleich kommen. Marie Alice sagte, dass das nicht ginge, weil sie mich, un!! professeur de français, zu Besuch hätte. (Man verwendete den männlichen Artikel un.)

Vera von Trott meinte, der Professor solle doch gleich mitkommen, und so fuhren wir im französischen quat´ chevaux am nächsten Tag los. Richtung Deutschland.

Bei der Ankunft dort stellte sich heraus, dass man geglaubt hatte, ich sei ein weißhaariger, ehrwürdiger Universitätsprofessor, für den man extra das schönste Zimmer mit Freitreppe zum Garten hergerichtet hatte.
So kam ich zu der edelsten Unterkunft meines Lebens.
Das Gespräch ging über spirituelle Dinge, und nach einiger Zeit sah ich, wie das Gesicht der Eremitin zu leuchten anfing und wie transparent wurde vor lauter Licht. Überirdisch schön. Es sah aus wie eine Art Heiligenschein. Der ganze Kopf strahlte Licht ab.
Vera von Trott verstummte und rief dann:„Que vous êtes belle!” (Wie schön Sie sind!)

So etwas habe ich viel später noch einmal gesehen, bei einem alten, im Sterben liegenden Therapeuten.

Bis jetzt ist es mir nicht gelungen, so ein geistiges Licht zu malen, da es anders ist als unser irdisches Licht. Aber ich habe es noch nicht aufgegeben und trage es immer noch in mir. Ich glaube, auf Ölgemälden alter, ganz großer Meister habe ich etwas gesehen, was dem sehr nahekommt.

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